Die Schweizer Gasversorger erreichen die Zielsetzung einer dekarbonisierten Gasversorgung in verschiedenen Etappen:
Bis 2030 15%, bis 2040 50% und bis 2050 100%.
Erneuerbare bzw. klimaneutrale Gase wie Biogas, synthetisches Biomethan oder grüner Wasserstoff sind das zentrale Element einer dekarbonisierten Gasversorgung. Die Produktionspotenziale in der Schweiz sind erheblich und liegen gemäss verschiedenen Studien bei über 10 TWh. Langfristig werden diese Gase vor allem in Ländern produziert werden, die über hohe Potenziale beim erneuerbaren Strom verfügen. Bereits 2016 haben sich daher die Schweizer Gasversorger das Ziel gesetzt, bis 2030 mindestens 30% erneuerbare Gase im gasversorgten Wärmemarkt für Haushalte zu liefern. Ende 2021 sind über 40% dieser Zielsetzung bereits erreicht. Die Gaswirtschaft setzt sich daher neue Ziele bezüglich des Anteils klimaneutraler Gase, die den gesamten Absatz betreffen.
Die klimaneutralen Gase stammen zu einem relevanten Teil aus inländischer Produktion, der grössere Teil wird aber importiert. Es ist daher zentral, dass importierte klimaneutrale Gase den einheimischen gleichgestellt werden. Zur Dekarbonisierung der Gaswirtschaft werden auch Negative Emissionstechnologien (NET) und Carbon-Capture beitragen. Die Gasversorger und ihre Verbände arbeiten intensiv daran, die Gasinfrastruktur auch für den Transport und die Verteilung von Wasserstoff vorzubereiten. Dabei können sowohl Gasgemische mit einem H2-Anteil von bis zu 20% oder reine Wasserstoffnetze zur Anwendung kommen.
Die Gaswirtschaft ist im Zusammenspiel mit anderen Energieträgern ein zentraler Akteur im Rahmen der Dekarbonisierung der Schweizer Energieversorgung sowie der Versorgungssicherheit. Sie passt Netze, Speicher und Produkte laufend den neuen Anforderungen an.
Eine wirtschaftliche, sichere und klimaneutrale Energieversorgung kann nur im Zusammenspiel aller erneuerbarer Energieformen und der entsprechenden Infrastrukturen erreicht werden. Die Schweizer Gasversorger, die in der Regel Querverbundsunternehmen sind, sind bestens aufgestellt, um als Kompetenzzentren eben diese Transformation voranzutreiben. Die Gasnetze werden mit erneuerbaren und klimaneutralen Gasen in Zukunft weiterhin eine wichtige Rolle in der Energieversorgung der Schweiz spielen. Strategien, die ausschliesslich auf Elektrizität und ihre Infrastruktur setzen, sind teurer, verletzlich und wenig flexibel. Klimaneutrale Gase sind einerseits zentral, um die Industrie zu dekarbonisieren, andererseits sind sie auch Speicheroptionen für Überschussstrom, der bei geringer Nachfrage im Sommer nach Sonnen-, Wasser- und Windenergie und ohne entsprechende Speichermöglichkeiten teilweise abgeregelt werden müsste. Über Sektorkopplung kann das Gas wieder in Strom, Wärme oder Treibstoff umgewandelt werden und somit einen zentralen und unverzichtbaren Beitrag zur Winterstromversorgung und zur Versorgungssicherheit leisten. Ebenso ermöglicht das Gasnetz Back-Up-Lösungen in Situationen von Strommangel. Die Gasinfrastruktur ist daher ein zentrales Element sowohl einer Dekarbonisierungsstrategie als auch einer Versicherungsstrategie, die zum Ziel hat, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Dies ist aber nur möglich, wenn die Gasinfrastruktur in den strategisch relevanten Regionen weiterentwickelt und mit Speicherkapazitäten im In- oder Ausland ergänzt wird. Das setzt den politischen Willen voraus, das Bereitstellen von Flexibilität im Energiesystem zu entschädigen. Dazu gehört auch die staatliche Unterstützung der Finanzierung von Speicherlösungen als zentralem Element der Versorgungssicherheit.
Szenarienbasierte Netzplanungen stützen in der Wärmeversorgung die erneuerbaren Systeme und garantieren langfristig eine bedarfsgerechte Versorgung mit erneuerbaren Gasen.
Die Entwicklung des künftigen Gasabsatzes hängt entscheidend von den politischen Rahmenbedingungen wie z.B. den gewählten Förder- und Marktmodellen, den technischen Innovationen im Bereich klimaneutraler Gase sowie deren Verfügbarkeit und Wirtschaftlichkeit ab. Die Gasversorger müssen diese Entwicklungen antizipieren, auch wenn das Ausmass heute noch nicht abschliessend abgeschätzt werden kann. Dies bedeutet, dass bei Netzplanungen entsprechende Szenarien einfliessen müssen, damit es zu keinen Fehlentscheidungen bei anstehenden Netzerneuerungen und der Kommunikation gegenüber den Kundinnen und Kunden kommt. Wärmepumpen und Fernwärme werden die klassischen Gasheizungen verdrängen. Die Gasversorgung wird sich längerfristig auf Gebiete konzentrieren, die über keine anderen erneuerbaren Ressourcen verfügen bzw. aus wirtschaftlichen, technischen oder schutzbedingten Gründen damit nicht erschlossen werden können. Die Gasversorgung wird sich auch auf Regionen fokussieren, in denen strategisch wichtige Industriekunden beliefert werden. Solche Überlegungen müssen in kommunale und regionale Richtplanungen einfliessen.
WKK-Technologien werden eingesetzt, um im Winter zusätzlichen Strom zu produzieren. Dabei wird die entstehende Wärme über existierende oder neue Wärmenetze zu den Kundinnen und Kunden transportiert. Um den Winterstrombedarf zu verringern, kann in Einzelgebäuden oder Überbauungen ein hybrides System, bestehend aus Wärmepumpe und Gasheizung, zur Deckung des Spitzenverbrauchs eingesetzt werden. Bei Fernwärmesystemen kann weiterhin eine Abdeckung der Spitzenlast angeboten werden und damit die optimale Ausnutzung der bestehenden Fernwärmemenge und deren Wirtschaftlichkeit gesichert werden. Auch die lokale Produktion von Wasserstoff bzw. Methan aus überschüssigem PV-Strom im Sommer mit anschliessender lokaler Einspeisung ins Netz sind mögliche Optionen zur Optimierung des Gesamtsystems.
Bereits 2040 sind die Gasversorger in der Lage, ihre Industriekunden komplett mit klimaneutralen Gasen zu versorgen. Im Vordergrund steht dabei grüner Wasserstoff, der primär aus erneuerbarem Strom gewonnen wird. Zu den Verbrauchern gelangt der Wasserstoff mit Tanklastwagen, über ein eigenes Leitungssystem oder eingespeist ins Gasnetz.
Die Schweizer Gaswirtschaft plant den Anschluss ans internationale H2-Transportnetz bis spätestens 2040. Das bestehende Gasnetz wird durch H2-Netze ergänzt, dabei sind Parallelnetze zu vermeiden. Produktionsanlagen in der Schweiz werden unterstützt.
Wasserstoff ist ein gutes Speichermedium für Energie. Er lässt sich mittels Strom über Elektrolyse herstellen oder aus Erdgas, dem der Kohlenstoff entzogen und anderweitig verwertet wird. Dieser kann gespeichert2 oder in neuen Werk- und Baustoffen verwendet3 werden. Wird der Wasserstoff aus erneuerbarem Strom hergestellt, spricht man von grünem Wasserstoff. Stammt er aus Erdgas mit CCS- oder CCU-Technologie, wird von blauem Wasserstoff gesprochen. Wasserstoff kann durch Zugabe von CO2 methanisiert und ins Gasnetz eingespeist werden. Die Erzeugung von blauem Wasserstoff aus Erdgas dürfte die Rolle einer Übergangstechnologie spielen, bis die Produktion von grünem Wasserstoff hochgefahren ist. Der Wasserstoff soll primär für Anwendungen zur Verfügung stehen, die wenig Alternativen zur Dekarbonisierung haben.
Mit dem Markthochlauf von Wasserstoff sind aktuell verschiedene Fragen verbunden, die im Rahmen von Wasserstoffstrategien weltweit bearbeitet werden, um die Klimaziele zu erreichen. Es ist angesichts der europäischen Entwicklungen davon auszugehen, dass die heutige Transitgasleitung spätestens bis 2040 auf Wasserstoff umgewidmet ist4. Es ist absehbar, dass sich in der Schweiz dadurch die Netzarchitektur ändern wird. Zum einen kann in den Gasverteilnetzen unter Berücksichtigung von gewissen Anpassungen ein Gemisch mit einem Wasserstoffanteil von 30 Prozent problemlos transportiert werden, wie neue Studien zeigen. Im Industriekontext geht man davon aus, dass sich reine H2-Netze langfristig durchsetzen werden.
Anwendungsseitig bestehen teilweise bei den heute im Einsatz befindlichen Technologien (vor allem bei den Tanks von Gasfahrzeugen oder Gasturbinen) Einschränkungen in der Wasserstoffverträglichkeit. Bei höheren Konzentrationen müssten die Endgeräte zum Teil angepasst oder ausgetauscht und im Netz Dichtungen verstärkt werden. Teile des heutigen Transport- und Verteilnetzes können zu Wasserstoffnetzen umgenutzt werden, oder es werden lokal Wasserstoffnetze entstehen, als Inselnetze oder ans internationale Wasserstofftransportnetz angeschlossen. Die heutige Gasinfrastruktur wird so den Entwicklungen auf der Angebots- und Nachfrageseite im Bereich Wasserstoff angepasst und dazu beitragen, dass geringere Investitionen in den Ausbau von Stromübertragungs- und -verteilnetzinfrastrukturen nötig sind. Das ganze Energiesystem ist stabiler, flexibler und kostengünstiger.
2 Carbon-Capture and Storage
3 Carbon-Capture and Use
4 Extending the European Hydrogen Backbone.
A EUROPEAN HYDROGEN INFRASTRUCTURE VISION COVERING 21 COUNTRIES, APRIL 2021
Die Gaswirtschaft setzt sich für eine Marktordung ein, die ihre strategischen Ziele unterstützt. Dazu gehören wenige, aber klare Regeln zum Netzzugang und eine Marktöffnung für Grosskunden.
Die aktuelle Situation im Schweizerischen Gasmarkt muss als unkoordinierte Gasmarktöffnung bezeichnet werden. Eine solche steht aber im Widerspruch zu den Zielen der Dekarbonisierung und der Versorgungssicherheit, weil in einem ungeregelten offenen Markt der günstigste Gaspreis die allein bestimmende Grösse ist und andere Nutzen wie der Beitrag zur Versorgungssicherheit und zur Dekarbonisierung nicht abgegolten werden. In einem geöffneten Markt braucht es zur Erreichung energiepolitischer oder versorgungspolitischer Ziele zusätzliche Massnahmen wie Quoten, Lenkungsabgaben oder Subventionen. In einem geregelten Markt ist dies aus regulatorischer Sicht einfacher, da die Kunden in ihren Entscheidungen nicht völlig frei sind und den Anbieter nicht einfach wechseln können. Dabei gilt es zu beachten, dass die gewählten Regulierungen schlank bleiben und sich auf die relevanten Stellgrössen beschränken. Solche Regeln könnten z.B. Quoten für erneuerbare Gase im Angebotsmix, Vorgaben zur Vorhaltung von Speicherkapazitäten oder zum Herkunftsnachweis umfassen. Es sollte unbedingt vermieden werden, dass die Transformation der Gaswirtschaft durch starre Regeln in einer neuen Marktordnung behindert wird.
Die Schweizer Gaswirtschaft, die seit 1920 im Verband der Schweizer Gasindustrie VSG organisiert ist, umfasst rund 90 Gasversorgungsunternehmen unterschiedlichster Grösse.