Netzkonvergenz: in der Verknüpfung der Sektoren liegen die Chancen
Zürich, 15.08.2017
Es braucht innovative Technologien und neue Konzepte, um die Energieversorgung von morgen sicherzustellen. In der Netzkonvergenz besteht ein bedeutendes Potenzial.
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel: Eine fussballerische Binsenwahrheit scheint auch für das politische Parkett zuzutreffen, wenn man die diversen Energie-Veranstaltungen nach dem 21. Mai zum Gradmesser nimmt. Nach erfolgter Abstimmung zur Energiestrategie 2050 öffnet sich der Raum für die offenen Fragen und Chancen, die bisher eher am Rande zum Thema wurden. Vielleicht tut er dies nur kurz, umso mehr sollten wir ihn nutzen.
Die Energiestrategie 2050 hat mittel- und langfristig zum Ziel, aus der (einheimischen) Atomkraft auszusteigen und gleichzeitig die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das lässt sich ohne Importstrategie oder zusätzliche einheimische Produktion von Strom aus alternativen Quellen nicht lösen. Das Risiko, dass wir in den nächsten Jahren im Winter nicht mehr so viel Strom importieren können, wie wir uns wünschen, wird zunehmen. Im Winter ist die Schweiz seit Jahren auf Stromimporte angewiesen. Diese stammen unter anderem aus Kohlekraftwerken, die das Klima schädigen. Die neusten Zahlen über den Strom, der aus den Schweizer Steckdosen fliesst, bestätigen dies: Seit 2013 hat sich der Anteil der nicht überprüfbaren Energieträger, unter anderem Kohle, von 13 auf 18 Prozent erhöht. Kommt dazu, dass die Stromnetze in der Schweiz zunehmend überlastet sind. So kam es in den vergangenen Jahren im Winter immer wieder zu heiklen Situationen, wenn die einheimischen Stromreserven knapp wurden und Importe aus dem Ausland aufgrund von Netzengpässen nur beschränkt möglich waren. In den nächsten Jahren werden voraussichtlich weitere Kraftwerke in Deutschland und Frankreich abgeschaltet werden, steuerbare Kapazitäten nehmen ab und nicht-steuerbare, aus neuen erneuerbaren Energiequellen, nehmen zu. Die Sicherung der Versorgung muss also mittelfristig geklärt werden.
Das alles zeigt, es braucht innovative Technologien und neue Konzepte für die Energieversorgung, die im beschlossenen Massnahmenpaket der Energiestrategie 2050 noch gar nicht berücksichtigt sind. Dazu braucht es den Wettbewerb der Ideen. Dieser ist heute dadurch beschränkt, dass die Energiewirtschaft traditionell in den Sektoren Strom, Wärme und Verkehr denkt und nicht die Chancen sieht, die in einer Verknüpfung liegt, gerade auch um die ambitionierten CO2-Ziele zu erreichen. Eine Kopplung der Sektoren bzw. die Konvergenz der bestehenden Energienetze gelingt über verschiedene Technologien, die bereits vorhanden sind: Wärme-Kraft-Kopplung (WKK), Power-to-Gas, Power-to-Heat, Gas- und Elektromobilität. Dass diese Konzepte aber nicht so richtig zum Fliegen kommen, hat verschiedene Gründe. Das in Sektoren getrennte Denken schlägt sich insbesondere auch in Sektor spezifischen Regelungen nieder, die für die neuen Technologien nicht förderlich sind.
Das betrifft zum einen etwa Power-to-Gas. Während Pumpspeicher davon ausgenommen sind, für die Nutzung der Stromnetze zu zahlen, ist dies bei der Nutzung des neuen erneuerbaren Stroms, der mittels Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und so gespeichert werden kann, nicht der Fall. Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Thema der dezentralen Produktion von gleichzeitig Strom und Wärme (WKK). Mittels WKK wäre es möglich, die Abhängigkeiten von Stromimporten im Winter zu verringern. Gemäss Bundesamt für Energie könnten rund 30 Prozent der Elektrizität mit WKK-Anlagen erzeugt werden. Diese verfügen über einen hohen Wirkungsgrad und reduzieren mit der Nutzung von erneuerbarem Gas noch verstärkt die CO2-Emissionen. Dazu müsste aber die Wettbewerbsfähigkeit von WKK-Anlagen gegenüber Stromimporten verbessert werden. Aus einem sektoriell übergreifenden Denken ergeben sich gerade auch für Querverbundsunternehmen unter den Energieversorgern neue Produktideen und Geschäftsmöglichkeiten etwa mit der Bündelung von Produkten, wie sie im Telekommunikationsbereich schon lange bekannt sind.
Im Verkehr liegen ebenfalls Chancen brach. Obwohl verantwortlich für einen Drittel des Energieverbrauchs und einen grossen Anteil an den CO2-Emissionen, blieben zumindest im Entwurf des revidierten CO2-Gesetzes die Benzin- und Dieselmotoren von einer CO2-Abgabe verschont. Vielleicht ändert „Dieselgate“ daran etwas und die Art, wie Automobilindustrie-Kreise hier wissentlich und vorsätzlich Zahlen geschönt haben. Alternative Antriebstechnologien wie mit Erdgas/Biogas betriebene Fahrzeuge stossen nicht nur deutlich weniger CO2 aus, sondern auch viel weniger umwelt- und gesundheitsbelastende Schadstoffe wie Feinstaub oder Stickoxide, unter denen wir vor allem im Sommer mit der Ozonbildung leiden. In der Auto-Umweltliste des Verkehrs-Clubs der Schweiz (VCS) belegen Gasfahrzeuge denn auch Spitzenplätze. Und das Beste daran ist, dass diese Technologien und die Tankinfrastruktur bereits vorhanden sind, um einen bedeutsamen Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen zu leisten. Schweizer Hochschulen wie die Empa und die ETH sind führend auf dem Gebiet alternativer Antriebstechnologien und verfolgen das Konzept der Kopplung der Sektoren Strom und Mobilität schon länger. Nur werden sie in Bern noch zu wenig gehört.
Daniela Decurtins, Direktorin des Verbands der Schweizer Gasindustrie VSG